Hannchen Wolff (1849-1937)

In der Mainzer Straße 22 (früher 24) im Haus des Georg Engeroff, der ja auch an jüdische Mitbürger wie die Familie Goldberger vermietet hatte und auf die Nazis schimpfte, wohnte auch Hannchen Wolf, geb. Marx. Sie war eine Tante von Emil Marx am Sandböhl; ihr Vater war Feist Marx und sie war die Schwester dessen Sohnes Marx Marx, der die Futtermittelhandlung am Sandböhl begründete.

Laut Familientafel der Familie Marx U.S.A. hießen ihre Geschwister: Daniel, verheiratet mit Bertha Reinach, Moses Marx, verheiratet mit Betty, Amalie Marx verheiratete Maas, Regina Marx, verheiratete Rueb, Henriette Marx, verheiratete Herz, Babette Marx, verheiratete Rueb und Hannchen Marx, verheiratete Wolf . Hanchen oder Hannchen Marx selbst war mit Jonas Wolf verheiratet und verwitwet, wie eine Ferienkarte von 1929 an sie zeigt; dass es ihr nicht immer gut geht, ist der Bemerkung zu entnehmen: „hoffentlich kannst du auf sein!“, wie ihre Nichte Bertha schreibt. Sie hat in dieser Zeit oft auf einem Podest im Stuhl am Fenster gesessen.

In den Briefen, die von Emil, Hede Marx und der Haushälterin Frau Kossmann an den nach Chicago geflüchteten Martin gerichtet sind und über die Verhältnisse zu Hause berichten, wird bisweilen daran erinnert, dass „Tante Hannchen“ sich Post aus Amerika wünscht und dass man sie in Gross-Gerau ständig besucht. Emil schätzt ihren Gesundheistszustand kurz vor ihrem Tod so ein: „...sie hat ja zu leben. Sie ist doch jetzt bald 88 Jahre und für 7-8 Jahre reicht´s ihr noch und dann wird man weiter sehen“. (12. 1. 1937); aber schon am 2. 2. 1937 ist sie tot:

„Unsere alte Tante Hannchen hat uns verlassen; sie hat ja G. s. D. kein langes Krankenlager gehabt. Am Freitag vor 8 Tagen ging sie noch mit mir auf die Straße und am Montag darauf telefonierte Dr. R., ich sollte sofort kommen, die Tante hätte die Grippe. Ich fuhr gleich hin und hat sie sich sehr gefreut, daß ich gleich kam. Im Laufe der Unterhaltung sagte sie zu mir: „diesmal packe ich´s nicht mehr“, und sie hatte recht. Am nächsten Tage bekam sie rote Flecken ins Gesicht, worauf sie wegen Ansteckungsgefahr in Isolierbau kam und hat sich dort zur Gesichtsrose entwickelt. Am Mittwoch war Else dorten, dürfte natürlich nicht zu ihr, da sie ja schon nichts mehr sprechen konnte und am Donnerstag morgen um 9 Uhr ist sie gestorben. Von Montag bis Donnerstag hat ständig eine Frau bei ihr gewacht. Am Sonntag wurde sie dann auf dem hiesigen Friedhof beerdigt; was sie immer gewünscht hat. Alle Verwandten waren hier und Susi kam von Zürich und hat ihr auch noch die letzte Ehre erwiesen“ (2.2. 1937); und Frau Kossmann schreibt am 7.2. 1937: „Gell, Tante Hannchen hat sich schnell fortgemacht“!

Emil Marx verwaltet den Nachlass und regelt alle testamentarischen Fragen:

Am 15.2. 1937 „Diese Woche werden die Sachen Tante Hanchen gehohlt und dann von hier ausverteilt.“
Am 21. 3. 1937 „Am Mittwoch ist am Amtsgericht in Darmstadt Testamentseröffnung von Tante Hannchen und muss ich und Adolf Berger hin.“
Am 21. 5. 1937: „Du kannst Max und Sophie sagen, dass sie ihr Erbteil von Tante Hannchen den Nauheimer Kinder(n) vermachen sollen und mit demselben Vermerk, wie es Tante Hannchen gemacht hat und zwar dass ich dasselbe auf deren Namen bei der Sparkasse anlege mit der Bedingung, dass ihn(en) der Betrag nebst Zinsen bei ihrer Verheiratung oder spätestens bis zum 30. Lebensjahr ausbezahlt; denn, wenn es Bernhard in die Finger bekommt, ist es gleich fort. Dies muss aber behördlich beglaubigt sein und eilt.“

Am 27.2. 1937: „Heute bekommen wir den Secretair, der im III. Stock stand und die Kommode von Tante Hannchen vom Schreiner gebracht, der sie frisch poliert und zurecht gemacht hat; es wurde alles sehr schön und freuen uns auch heute damit....“

Am 7.7. 1937 „In der Erbschaftsangelegenheit Tante Hannchen benötige umgehend folgende Adressen von dir oder, wenn du sie nicht weißt, frage bei Onkel Max oder Tante Sophie : 1. von den 3 Töchtern von Eduard Rüb, 2. Martha Schaffner /Herbert Schaffner / Kinder von Flora Schaffner; 3. von Tynchen Fuhrmann Louis-Ville, wenn du letztere nicht weißt, werde sie via Nierstein erfahren…“
Am 29. 11. 1937: „Morgen muss nochmals an die Devisenstelle nach Darmstadt und hoffe, dass dann im Laufe dieser oder nächster Woche mit dem Nachlass von Tante Hannchen fertig werde.“
Am 13. 12. 1937: „Heute waren die Monsheimer da, um von Tante Hannchen ihr Erbteil zu holen. Ich bin froh, wenn alles erledigt ist, aber es dauert immer noch einige Tage...“
Am 27. 12. 1937: „Im Laufe dieser Woche, hoffe die Erbschaft von Tante Hannchen noch erledigen zu können, was alles nicht so schnell geht, bis alles von der Devisenstelle genehmigt ist und vom Gericht alle Formalitäten erfüllt sind.“

Postkarte von Bertha an Hannchen Wolf, 1929 Hannchen Wolf zwischen ihren Neffen Emil und Jakob Marx
   
  Grab auf dem Jüdischen Friedhof Groß-Gerau