Helwigstraße 28 / Ecke August-Bebel-Straße

Hier wohnte Alter im
Jahr 1933
Schicksal Bemerkungen
Isaak Hirsch
geb. 11.3.1852
gest. 14.9.1924
    Grab 775 auf dem jüdischen Friedhof
Regina Hirsch,
geb. Landau
geb. 30.6.1858
gest. 8.5.1938
75 wahrscheinlich unfreiwillig verzogen nach Frankfurt/M

Ehefrau von Isaak; Heirat am 6.5.1883

Lina Hirsch
geb. 24.2.1890
43 ermordet in Hadamar am 4.2.1941 Tochter von Isaak und Regina
Ida Hirsch
geb. 31.7.1898
35 deportiert 1941 ins Getto Minsk; ermordet

Tochter von Isaak und Regina

Info auf Shoah-Memorial-FFM

Erna Hirsch
geb. 25.10.1910
23 ermordet in Hadamar am 4.2.1941 Tochter von Isaak und Regina

Klara Hirsch
geb. Hirsch
geb. 11.4.1884
gest. 22.11.1914

    Tochter von Isaak und Regina;
Heirat am 12.6.1907 mit Gustav Berthold Hirsch;
Grab auf dem jüd. Friedhof
Gustav (Luitpold) Berthold Hirsch
geb. 23.3.1880 in Wallerstädten
53 Flucht 1939 in die USA Ehemann von Klara;
Schwiegersohn von Isaak und Regina;
Viehhändler und Sohn des Metzgermeisters und Viehhändlers Samuel Hirsch und seiner Ehefrau Julia, geb. Krieger, aus Wallerstädten. Gustav ist identisch mit Gustav Hirsch aus der Frankfurter Str. 46, nach dem frühen Tod von Klara hat er noch einmal geheiratet, nämlich Lina Mayer.
Hedwig Hirsch
verh. Claessens
geb. 9.1.1886
47 zieht nach Brüssel; später Flucht in die USA Tochter von Isaak und Regina;
heiratet 1911 den  Kaufmann Benjamin Claessen(s) und zieht nach Brüssel

Recherchen ergaben folgende Informationen über die Menschen und die Häuser, in denen sie wohnten:

Die Erwerbertitel der Hofreite in der Schleierstraße mit Grabgarten, 309 qm und 382 qm datieren vom 23. 4. 1887 bzw. 17. 9. 1897. Eingetragene Eigentümer sind Isaak Hirsch und seine Ehefrau Regina, geb. Landau, geboren zu Wallerstädten. Ihr gemeinschaftliches Testament geht auf den 3. 10. 1912 zurück: die Kinder sind auf den zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt. Issak Hirsch verstarb am 14. 9. 1924. Sein Grab ist unter der Nummer 775 auf dem Groß-Gerauer jüdischen Friedhof zu finden.

Adressbuch 1912

Ansicht 1927, ganz rechts über dem Tor ist zu lesen: "Metzgerei Gebrüder Hirsch";
Fotos: Digit. Fotoarchiv Stadtmuseum GG

Im erneuerten Testament der Alleinerbin Regina, geb. Landau vom 8. 2. 1932 werden als Kinder genannt: Die Töchter Klara Hirsch und Hedwig Hirsch, der Sohn Gustav Berthold sowie die Töchter Lina und Ida. Letztere haben zu Lebzeiten der Eltern noch nichts erhalten, anders als die anderen, die jeweils zur Verehelichung bedacht wurden. Regina legt ausdrücklich fest, dass die Kinder bezüglich der Vorempfänge gleich behandelt werden sollen. Lina und Ida soll demnach das Haus in der Helwigstraße 28, das Inventar, Silber, Schmuck und Sparguthaben zugesprochen sein.

Der „älteste Gerichtsmann“ Engeroff stellt für das Ortsgericht am 20. 7. 1938 fest:

Nach den getroffenen Feststellungen bei Lina und Ida Hirsch in Groß-Gerau, die angeblich testamentarisch als Erben des Grundbesitzes in Frage kommen, besteht die Absicht, denselben in absehbarer Zeit zu veräußern. Von einer Überschreibung des Grundbesitzes auf die Erben soll daher zunächst abgesehen werden.“

Das Testament vom 8. 2. 1932 ist abschriftlich am 10. 6. 1938 neu beurkundet worden.

Im Kaufvertrag vom 20. 1. 1939 verkaufen 1. Fräulein Ida „Sarah“ Hirsch, Kassiererin in Frankfurt a. M., handelnd auch für ihre Schwester Hedwig Claessens und ihren Schwager Benjamin Claessens, beide in Brüssel, 2. Gustav Berthold Hirsch „Israel“ in Groß-Gerau Frankfurter Straße, handelnd als Vormund für Erna „Sarah“ Hirsch, geb. am 25. 10. 1910 und 3. Albert „Israel“ Steiermann, Bäcker in Mainz, Zanggasse 21, handelnd als Vormund für Lina Hirsch, geb. am 24. 2. 1890 - die Hofreite mit Grabgarten an Anna Elisabeth Dörr, geb. Lochmann, Witwe des Landwirts Jakob Dörr III.

Anna Dörr hatte von ihrem Bruder Wilhelm Lochmann, Bäcker in Groß-Gerau 1935 bereits mehrere Wiesen und Äcker erworben. Der Kaufpreis, den die Erben der am 8. 5. 1938 verstorbenen Regina Hirsch, geb. Landau, erhalten sollen, beträgt 13.000 RM; er soll je zur Hälfte an Ida und Lina Hirsch gehen, vorbehaltlich der Genehmigung durch den Reichsstatthalter, denn: die „Verkäufer sind Juden“. In seiner Genehmigung setzt dieser den Kaufpreis auf 11.200 RM herab. Das geschieht am 25. 8. 1939, befristet bis zum 30. 9. 1939. Die Devisenstelle teilt ausdrücklich mit, dass die einzige beteiligte „Devisenhändlerin“ Hedwig Claessens, geb. Hirsch, wohnhaft in Brüssel keinen testamentarischen Anspruch auf den Kaufpreis hat.

Entsprechende Vollmachten von Hedwig und ihrem Ehemann Benjamin Claessens, Rue Rodenbach 108 in Brüssel liegen für Ida Hirsch, damals bereits in der Schumannstraße 10 in Frankfurt a. M. wohnend, vor. Die Nachverhandlung des Kaufvertrags vom 20. 1. 1939 im Notariat Höfle wegen des herabgesetzten Kaufpreises findet am 25. 8. 1939 statt. Anwesend sind Ida „Sarah“ Hirsch, damals in der Friedberger Landstraße 16 wohnhaft, Gustav Berthold „Israel“, damals Hanauer Landstraße 17, handelnd für „Sarah“ Erna Hirsch, geb. am 25. 10. 1910, damals im Philippshospital, Goddelau lebend, Albert „Israel“ Steiermann, Bäcker aus Mainz, Zanggasse 21, Vormund für Lina „Sarah“ Hirsch aus Groß-Gerau, geb. am 24. 2. 1890. Das zu viel erhaltene Geld aus dem ursprünglichen Kaufpreis von 13.000RM gegenüber 11.200 war zurückzuvergüten.

Die Verkaufsverhandlungen dürften auch mit dem Tode Regina Hirschs am 8. 5. 1938 zusammenhängen. Sie wurde nicht mehr auf dem Groß-Gerauer Friedhof beigesetzt.

Zum 12. 7. 1949 tritt das Amt für Vermögenskontrolle und Wiedergutmachung in Darmstadt in Erscheinung und verhängt rückwirkend zum 30. 1. 1946 die Vermögenssperre gegen Anna Elisabeth Dörr, geb. Lochmann auf die Helwigstraße 28. Die Jewish Restitution Successor Organization beantragt die Eintragung des Rückerstattungsvermerks im Grundbuch am 19. 10. 1950. Augenscheinlich findet mangels überlebender Erben der Vergleich zwischen der Hessischen Treuhandverwaltung in Wiesbaden als Antragstellerin gegen Anna Elisabeth Dörr am 16. 10. 1951 mit folgendem Ergebnis statt: Die Vermögenssperre gegen die Witwe Dörr wird aufgehoben gegen eine Ausgleichszahlung von 9000 DM, die in vierteljährlichen Raten zu 225 DM ab dem 1. 1. 1952 an die Treuhand gegen Eintragung einer Briefgrundschuld zu überweisen ist. Anna Elisabeth Dörr, geb. am 12. 2. 1899, verstarb am 20. 10. 1986. Die Helwigstraße 28 fand 1987 neue Eigentümer.

Erna Hirschs Todesdatum in der Tötungsanstalt Hadamar, wohin sie von Goddelau aus im Rahmen der „Euthanasie“ verbracht wurde, ist der 4. 2. 1941; Lina Hirsch, für die eine Gebrechlichkeitspflegschaft bestand, erging es am gleichen Tage ebenso. Ida Hirsch, geb. am 31. Juli 1898 in Groß-Gerau, zuletzt wohnhaft in Frankfurt a. Main wurde von dort am 11./12. 1941 ins Ghetto Minsk verschleppt. Die Schicksale von Hedwig, geb. Hirsch und Benjamin Claessens in Brüssel sowie von Klara Hirsch bleiben unbekannt.

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