Erklärungen wichtiger Begriffe im Zusammenhang von Enteignung und Auswanderung im Nationalsozialismus

Quelle: Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Hrsg. der deutsche Ausgabe: Eberhardt Jäckel, Peter Longerich und Julius H. Schoeps. 4 Bde. München-Zürich 1995

Auswanderung
Dego-Abgabe
Hausratsversteigerung
Heimeinkauf
Judengesetzgebung, finanzieller Bereich
Judenhäuser
Judenvermögensabgabe
Oberfinanzpräsident
Reichsfluchtsteuern
Reichskommissariat für die Behandlung feindlichen Vermögens
Reichssicherheitshauptamt
Reichsvereinigung der Juden Deutschlands
Sicherungsanordnung
Vermögenseinziehung/-verfall
Vermögenserklärung

Aufgrund der Verordnung zur Anmeldung des Vermögens von Juden (26.4.1938) mussten Vermögen über 5000 RM angemeldet werden; zudem unterlagen sie Verfügungsbeschränkungen. (vgl. Erwerbstätigkeit und den direkten Zugriff auf jüdische Vermögen. Sicherungsanordnung). Mit der 3. Verordnung zum Reichsbürgergesetz (14.6.1938) wurde die Bestandsaufnahme aller jüdischen Betriebe verfügt. Geschäfte, Firmen und Grundstücke konnten nur noch weit unter Wert verkauft werden. Der Novemberpogrom 1938 bot einen Anlass zur Radikalisierung der Arisierung mit dem Ziel einer entschädigungslosen staatlichen Zwangsenteignung jüdischer Unternehmen – bis zur völligen "Entjudung" des Reiches. Im Dezember 1938 wurde die 'Zwangsarisierung' bzw. Stilllegung der noch existierenden jüdischen Betriebe zum 1.1.1939 angeordnet; die Ausübung praktisch aller Berufe wurde den Juden verboten. (Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12.11.1938). Den Abschluss der Arisierung bildeten die 11. und die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz (Nov. 1941 bzw. Juli 1943), nach denen das gesamte Vermögen der ausgewanderten, der nach Osten deportierten und der im Deutschen Reich verstorbenen Juden dem Reich verfiel. Am 12.11.1938 verlangte eine Verordnung die fortlaufende 'Entjudung der deutschen Wirtschaft'. Juden durften keine Geschäfte und Handwerksbetriebe mehr betreiben und mussten diese schließen. Am 3.12.1938 folgte die Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens, nach der die Juden ihren Besitz nicht mehr zum eigentlichen Wert, sondern zu amtlich festgesetzten Preisen verkaufen mussten. Der Verkaufserlös musste auf Sperrkonten eingezahlt werden, über die sie nicht mehr verfügen durften.

Diese Zwangsmaßnahmen sollten auch als Druckmittel dienen, die Juden zur Auswanderung zu veranlassen, hatten jedoch die Nebenwirkung, dass viele Juden nach der Ausplünderung nicht mehr über die zur Auswanderung notwendigen Mittel verfügten.

Auswanderung, Auswanderungskosten

Obwohl die Auswanderung von Juden aus Deutschland prinzipiell erwünscht war, wurde sie immer stärker reglementiert. Folgte sie noch bis 1933 den Bestimmungen der allgemeinen Devisenbewirtschaftung, wurde bereits ab 1934 für jüdische Auswanderer die Erlaubnis zur Mitnahme von Barbeträgen radikal eingeschränkt. Auch die Mitnahme von Umzugsgut wurde zunehmend erschwert. Ab Dezember 1938 mussten Juden eine zusätzliche Auswandererabgabe in Höhe von 20% der Reichsfluchtsteuer, wenig später als gestaffelte Abgabe auf ihr Vermögen, entrichten. Einige Einrichtungen boten Unterstützung für jüdische Auswanderer an; hier ist vor allem die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (RVJD) zu nennen, ohne deren Hilfe viele zu diesem Schritt finanziell oder organisatorisch nicht in der Lage gewesen wären. Am 23.10.1941 wurde die Auswanderung für Juden generell untersagt. Seit 1933 waren etwas mehr als 450.000 Personen jüdischer Herkunft aus dem deutschsprachigen Raum emigriert.

Dego-Abgabe

Als Dego-Abgabe wurde die bei der Auswanderung zu leistende Abgabe an die Deutsche Golddiskontbank bezeichnet; sie wurde erhoben für transferiertes Geld und später auch für Umzugsgut. Sie betrug bereits im August 1934 65% der transferierten Gesamtsumme, stieg bis Oktober 1936 auf 81% und bis Juni 1938 auf 90%. Ab September 1939 betrug der Abschlag durchgängig 96%. Ab 1.1.1939 wurde auch die Mitnahme von Umzugsgut eingeschränkt. Nur zum persönlichen Gebrauch unbedingt erforderliche Gegenstände durften noch mitgenommen werden. Jeder, der auswandern wollte, musste vorher um Genehmigung nachsuchen und zu diesem Zweck alle auszuführenden Sachen in einem "Umzugsgutverzeichnis" auflisten. Die Mitnahmegenehmigung wurde nur erteilt, wenn zuvor ein Betrag in Höhe des Anschaffungswertes für sogenannten Neubesitz (Sachen, die nach dem 31.12.1932 angeschafft waren) an die Deutsche Golddiskontbank überwiesen worden war. In Einzelfällen konnte die Abgabe bis zu 300% betragen.

Hausratsversteigerung

Der nach der Deportation zurückgebliebene Hausrat (Mobiliar, Küchenutensilien, Wäsche etc.) gehörte zu den Vermögenswerten, die dem Reich verfallen waren oder vom Reich eingezogen wurden. Nach Schätzung des Inventars und der Räumung der Wohnungen wurden die Gegenstände bis zu ihrer "Verwertung" eingelagert. Sofern nicht eine Behörde oder Wohlfahrtseinrichtung darauf Anspruch erhoben, wurden sie in öffentlichen Versteigerungen zu Geld gemacht. Zumeist sehr wohl um die Herkunft der ersteigerten Waren wissend, partizipierte auch die "normale" Bevölkerung am Raubmord an ihren jüdischen Nachbarn.

Heimeinkauf

Um älteren jüdischen Bürgern Ziel und Charakter ihrer zunächst meist nach Theresienstadt führenden Deportation zu verschleiern und sich ihr Vermögen ohne Widerstand übereignen zu lassen, wurden diese seit 1942 durch das RSHA bzw. über die vorgeschobene Instanz der im Juli 1939 auf Anordnung des Reichsinnenministeriums gebildeten "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" dazu angehalten, sich in ein Altenheim (im Osten) "einzukaufen". Diese Gelder gelangten letztlich in die Reichsfinanzkasse, nachdem die erzwungene Mitarbeit der "Reichsvereinigung" bei der Organisation von Auswanderung, Ausbeutung und Deportation ihrer jüdischen Leidensgenossen entbehrlich und diese am 10.6.1943 aufgelöst worden war.

Judengesetzgebung, finanzieller Bereich

Eine ganze Reihe direkt gegen jüdische Bürger gerichteter Gesetze zielte auf die schrittweise finanzielle Entmündigung, schließlich Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben und auf die Vereinnahmung ihres Vermögens oder zumindest eines großen Teils davon. Die wichtigsten Verordnungen und Durchführungsverordnungen betrafen die "Anmeldung des Vermögens von Juden" (26.4.1938), die "Sühneleistung der Juden" (12.11. und 21.11.1938), die "Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" (12.11. und 23.11.1938); den "Einsatz des jüdischen Vermögens" (3.12.1938 und 6.2.1939). Mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz (25.11.1941) verfiel das Vermögen jedes Juden, der sich außerhalb der Staatsgrenzen aufhielt - also ausgewandert oder deportiert war – dem Reich.

Judenhäuser

Das "Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden" (30.4.1939) und der Durchführungserlass (4.5.1939) zielten auf eine räumliche Trennung der Juden von Nichtjuden. Dabei sollten die jüdischen Bewohner "gegebenenfalls zwangsweise" in relativ wenigen, möglichst in jüdischem Besitz befindlichen Häusern "zusammengefasst" werden. Eine solche "Ghettoisierung ohne Ghetto" erleichterte die spätere Deportation. In Hameln wurden die Häuser Neue Marktstr. 13 und Pferdemarkt 8 zu "Judenhäusern" bestimmt.

Judenvermögensabgabe

Auf Initiative Hermann Görings wurde den deutschen Juden nach dem Attentat auf den deutschen Legationsrat vom Rath und der Pogromnacht am 12.11.1938 eine Kontributionszahlung von 1 Mrd. RM als "Sühneleistung" für "die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk" auferlegt. Die "Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden" vom 21.11.1938 regelte den Modus der Umlage dieser Summe auf alle jüdischen Bürger auf der Grundlage der Vermögenserklärungen vom Frühjahr 1938. Alle, die mehr als 5000 RM Vermögen angegeben hatten. mussten 20% davon bis zum 15.8.1939 in vier Raten an ihr Finanzamt abgeben; später wurde noch eine 5. Rate verlangt. die am 15.11.1939 fällig wurde.

Oberfinanzpräsident (OFP)

Die Oberfinanzpräsidenten (bis 1937 Landesfinanzämter) waren die maßgeblichen Behörden der Reichsfinanzverwaltung in den Ländern. Auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens gab es den OFP Weser-Ems mit Sitz in Bremen und den OFP Hannover mit Sitz in Hannover. Sie waren die vorgesetzte Behörde für die lokalen Finanzämter. Vor allem zwei Dienststellen hatten mit der Überwachung und Verfolgung von Juden und der Einziehung und Verwertung ihres Vermögens zu tun: die 1931 gegründeten Devisenstellen, die für die Genehmigung, Überwachung und späterhin auch Strafverfolgung von Devisenbestimmungen und -vergehen zuständig waren, und die seit Ende 1941 eingerichteten "Dienststellen für die Einziehung von Vermögenswerten" (ab Mitte 1942 "Vermögensverwertungsstellen"). Letztere waren nach Erlass der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 zuständig für die Erfassung, Verwaltung und Verwertung des Vermögens der deportierten, ausgewanderten oder verstorbenen Juden.

Reichsfluchtsteuern

Seit der Verordnung vom 18.5.1934 wurde die Abgabe bereits bei Vermögen von 50.000 RM und 10.000 RM Jahreseinkommen erhoben. Auch die Freigrenze für genehmigungsbedürftige Geschäfte wurde immer weiter gesenkt; seit September 1934 waren es schließlich nur noch 10 RM, die ohne Genehmigung mitgeführt werden durften.

Reichskommissariat für die Behandlung feindlichen Vermögens

Am 15.1.1940 wurde vom Reichsjustizministerium eine Feindvermögensverordnung erlasssen, die vorsah, "feindliche Vermögen" nicht zu enteignen und einzuziehen, sondern unter treuhänderische Verwaltung zu stellen. Unter "feindliches Vermögen" fiel nicht nur der inländische Besitz ausländischer Staatsbürger, sondern auch der inländische Besitz von Deutschen, die ihren dauerhaften Wohnsitz oder Aufenthalt im feindlichen Staatsgebiet hatten. Zur völkerrechtskonformen Zwangsverwaltung wurde ein "Reichskommissariat für die Behandlung feindlichen Vermögens" (RKV) gegründet. Im November 1941 wurde gemäß der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz das Vermögen deutscher Juden, die ihren Wohnsitz im Ausland hatten und deren Vermögen folglich bis dahin in den Geltungsbereich der Feindvermögensverordnung fiel, aus dieser explizit ausgenommen. Von nun an konnte dieses Vermögen ebenfalls eingezogen werden.

Reichssicherheitshauptamt (RSHA)

Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war die am 27. September 1939 durch die Vereinigung von Sicherheitspolizei (Sipo) und Sicherheitsdienst (SD) von Heinrich Himmler geschaffene zentrale Behörde, die alle Polizei- und Sicherheitsorgane des nationalsozialistischen Deutschlands leitete. Chef des Amtes war bis 1942 Reinhard Heydrich, danach Ernst Kaltenbrunner. Zu den Befugnissen des RSHA gehörten die Verhängung der gerichtlich nicht kontrollierbaren 'Schutzhaft' zur Bekämpfung politischer wie 'rassischer' Gegner. Das Amt II – Organisation, Verwaltung, Recht – war u.a. zuständig für die Einziehung sogenannten staats- und volksfeindlichen Vermögens und für Ausbürgerungen. Das Amt IV (Gegnererforschung und -bekämpfung) Referat IV D 4 (später IV B 4) unter Leitung von Adolf Eichmann war verantwortlich für den bürokratischen Teil der "Endlösung der Judenfrage"; von hier aus wurden die systematische Ermordung der deutschen und europäischen Juden und die Transporte in die Vernichtungslager organisiert.

Reichsvereinigung der Juden Deutschlands

Im Juni 1939 wurden alle noch bestehenden jüdischen Gemeinden und Organisationen zwangsweise in die "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" eingegliedert. Die RVJD war ursprünglich ein im September 1933 unter dem Namen "Reichsvertretung der deutschen Juden" gegründeter Dachverband jüdischer Organisationen, Gemeinden und Vereine in Deutschland. Mit den Nürnberger Gesetzen 1935 wurde sie zwangsweise in "Reichsvertretung der Juden in Deutschland" und nach der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 in "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland" umbenannt und dem Reichsinnenminister und damit der Gestapo bzw. dem SD (ab September 1939 dem Reichssicherheitshauptamt) unterstellt. Ihr mussten alle in Deutschland lebenden Juden angehören. Die Aufgaben der RVJD erstreckten sich auf soziale und berufliche Unterstützungsmaßnahmen (Förderung der Auswanderung, Fürsorge, Schulwesen, Berufsausbildung und -umschichtung). Ab Ende 1941 verengte sich die Tätigkeit mehr und mehr auf die Fürsorge und auf die erzwungene Mitwirkung bei der Organisation der Deportationen. Zum 10.6.1943 wurde die Reichsvereinigung per Erlass aufgelöst; mit der Verwaltung des restlichen Vermögens wurden die Oberfinanzpräsidenten beauftragt.

Sicherungsanordnung (§ 37a des Devisengesetzes vom 1.12.1936)

Ab 1.1.1937 erhielten die Devisenstellen bei den Oberfinanzpräsidenten die Befugnis, beim Verdacht von Vermögensverschiebungen dem Betroffenen Verfügungsbeschränkungen – sogenannte Sicherungsanordnungen – aufzuerlegen (§37a des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Devisenbewirtschaftung vom 1.12.1936). Die Devisenstellen konnten z.B. anordnen, dass Geldbeträge auf ein gesperrtes Konto einzuzahlen waren oder Verfügungen über besondere Vermögenswerte wie Grundstücke, Wertpapiere, Bankguthaben und Beteiligungen nur noch mit devisenrechtlicher Genehmigung erfolgen durften.

Vermögenseinziehung/-verfall

Nach dem "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" und dem "Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens", beide vom 14.7.1933, konnte das Verhalten von Juden (aber auch anderer nicht regimekonformer Bürger) als "staatsfeindlich" definiert und ihr Vermögen mittels einer entsprechenden Verfügung "zugunsten des Deutschen Reiches" eingezogen werden. Mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz (25.11.1941) wurde die Einziehung jüdischen Vermögens vereinfacht: Sobald ein Jude seinen "gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland" genommen und damit die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hatte – was bei Deportation und Auswanderung zutraf –, verfiel sein Vermögen dem Reich, ohne dass es noch einer Einziehungsverfügung bedurfte.

Vermögenserklärungen

Im Zuge der "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" vom 26.4.1938 mussten Juden ihre Vermögenswerte offenlegen. Bis zum 30.6.1938 hatten all diejenigen eine Vermögenserklärung abzugeben, deren Vermögen über 5.000 RM lag. Auf Grundlage dieser Angaben wurde die nach der Pogromnacht erhobene "Judensvermögensabgabe" berechnet. –Die Vermögenserklärungen, die ab Ende 1941 von jedem zur Deportation bestimmten Juden auszufüllen waren, dienten den "Dienststellen zur Einziehung von Vermögenswerten" (später Vermögensverwertungsstellen) als Grundlage für Erfassung, Verwaltung und Verwertung des zurückgelassenen Hab und Guts der Deportierten. Hier musste das gesamte Restvermögen in einem detailliert ausgearbeiteten acht- bzw. 16-seitigen Formular aufgeführt werden.